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Leïla Slimani: Schaut, wie wir tanzen (Luchterhand; 2022) / Regardez-nous danser (2022)

Aus dem Französischen von Amelie Thoma

 

Worum geht’s?

In diesem Buch begegnen wir Personen wieder, die wir in Leïla Slimanis Roman «Das Land der Anderen» schon kennengelernt haben. In jenem ersten Band ihrer autofiktionalen Romantrilogie schilderte Slimani, wie ihre elsässische Grossmutter Matilde während dem Zweiten Weltkrieg den Marokkaner Amine Belhaj kennenlernt, ihn heiratet und mit ihm nach Marokko auswandert. Wir lesen und fühlen mit, wie die junge Familie dort mit viel Entbehrungen eine Farm aufbaut.

 

Im zweiten Band, «Schaut, wie wir tanzen» begleiten wir nun vor allem die Tochter der beiden. Aïcha hat ihr Medizinstudium in Strassburg absolviert und kehrt jetzt zurück nach Marokko zu ihrer inzwischen zu Wohlstand gekommenen Familie. Doch wird sie sich ein eigenes Leben aufbauen können in einem Land, in dem bisher nur Männer Ärzte sind? Es ist das Jahr 1968, in Frankreich gehen die Studierenden auf die Strasse, doch in Marokko ist nicht viel zu spüren von Aufbruch. Aïchas Bruder Selim setzt sich – um dem Druck des Vaters zu entkommen – zuerst in eine Hippiekommune an der Küste ab und wandert dann nach Amerika aus. Aïcha trifft am Abend der Mondlandung in einer Bar einen Studenten, den alle nur «Karl Marx» nennen. Er ist Teil der intellektuellen Jugend, die Marokko verändern möchte. Nach einigen Irrungen kommen sich die beiden näher. Wird für sie ein Leben in Gleichberechtigung möglich sein? Der Roman erzählt vom Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit.

 

Leïla Slimani hat eine autofiktionale Trilogie über das Leben ihrer Grosseltern, ihrer Eltern und schliesslich auch ihr eigenes Leben in Aussicht gestellt. Wir dürfen daher davon ausgehen, dass Aïcha und Mehdi – wie «Karl Marx» richtig heisst – ihren Eltern nachempfunden sind. Das Buch endet mit der Geburt ihrer ersten Tochter.

 

Was mir am Buch besonders gefällt

Das Buch liesst sich leicht und flüssig. Es hilft, wenn man bereits «Das Land der andern» gelesen hat, aber das Buch lässt sich gut auch alleine lesen. Am Anfang des Buches gibt ein Personenverzeichnis einen kurzen Überblick über das Personal des Romans, was auch nützlich ist, wenn man zwischendurch einmal den Überblick verliert.

 

Ich wusste bisher wenig über Marokko aus jener Zeit. Slimanis lebendige Erzählweise bringt mir das Land und die Leute näher, der historische Hintergrund wird klarer. Sie schöpft aus dem Fundus der eigenen marokkanischen Familiengeschichte um die Umbrüche in jener Zeit, die Rolle der Monarchie, und die Kluft zwischen Armut und Reichtum zu beschreiben. Mit den Gegensätzen arm-reich, gebildet-ungebildet, traditionell-fortschrittlich spielt sie ab und zu etwas schablonenhaft, meist aber packend und interessant. Slimani erzählt in grossen Bögen, bleibt einmal näher und länger an bestimmten Personen dran, nur um sich dann wieder anderen zuzuwenden und die Geschichte aus derer Perspektive weiterzuerzählen. Man könnte das auch sprunghaft nennen, mir gefällt dieses Punktuelle jedoch sehr gut, es trägt bei zur Vielstimmigkeit in diesem Roman.

 

 

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