Aus dem Englischen von Simone Jakob
Worum geht’s?
Auf dem Sterbebett nimmt Adunnis Mutter ihrem Ehemann das Versprechen ab, dass er Adunni weiterhin zur Schule schicken wird. Zu Adunni sagt sie: «Deine Schulbildung ist deine Stimme, Kind!» Doch kaum ist die Mutter tot, verheiratet der Vater die Vierzehnjährige aus Geldmangel mit einem viel älteren Mann, der bereits zwei Ehefrauen und vier Töchter hat und nun unbedingt einen Sohn von der dritten Ehefrau Adunni will. Doch Adunni hat einen anderen Traum: Sie will Lehrerin werden. Sie flieht nach Lagos, in der Hoffnung, dort zur Schule gehen zu können. Doch dort wird sie zunächst als Hausmädchen einer reichen Familie ausgebeutet und misshandelt. Ihr Optimismus, ihre Hartnäckigkeit und ihr Bildungshunger helfen ihr, nicht aufzugeben. Und zum Glück gibt es immer wieder Menschen, die ihr helfen: Eine der Mitehefrauen, eine alte Freundin ihrer Mutter, der Koch im Haushalt in Lagos und schliesslich eine junge Frau der gehobenen Gesellschaft, die selber lang in Grossbritannien gelebt hat und die über die Situation der Frauen und Mädchen in Nigeria zutiefst schockiert ist. Sie hilft Adunni, sich für ein Stipendienprogramm für Hausangestellte zu bewerben, unterrichtet sie in Englisch und ermutigt sie, ihren eigenen Weg zu gehen.
Was mir am Buch besonders gefällt
Das Buch hat eine unverwechselbare Sprache und ist ein eindringliches Plädoyer für mehr Bildung für Mädchen und Frauen in Nigeria, damit sie aus ihren schwierigen, von Unterdrückung geprägten Verhältnissen, ausbrechen können. Adunnis Realität spiegelt die Spaltung der Gesellschaft wieder. Nigeria hat eine reiche moderne Oberschicht, während die arme Mehrheit in patriarchalen Verhältnissen stecken blieb. Adunnis Kampf um Schulbildung hat auch eine gesellschaftliche Brisanz.
Ich kann mich nicht recht entscheiden, ob mir die Sprache des Romans gefällt oder nicht. Wahrscheinlich müsste ich noch das englische Original lesen. Da die Autorin die Protagonistin aus der Ich-Perspektive erzählen lässt und Adunni wenig Bildung erhalten hat, ist der Stil oft etwas naiv und voller Neologismen. Das Nachwort der Übersetzerin ist aufschlussreich; sie schildert, wie sie sich bemühte, Adunnis sowohl grammatikalisch als auch vom Vokabular her stark vom Standard-Englisch abweichende Sprache adäquat ins Deutsche zu übertragen.
Wem ich das Buch empfehlen würde
Aus Zeitungen und Nachrichtensendungen sind wir bestens informiert über die politische Situation in Afrika. Doch wie das tägliche Leben einer jungen Frau in Nigeria aussehen kann, habe ich durch dieses Buch erfahren. Die Erzählung von Adunni steht stellvertretend für das Schicksal Millionen junger Mädchen in Nigeria und ging mir näher als so mancher journalistischer Artikel. Wer vor einem harten Schicksal nicht lieber die Augen verschliessen möchte, dem/der sei das Buch wärmstens empfohlen!
Originalton aus dem Buch
«Papa»
Er sitzt auf dem Sofa und starrt das Fernseh an, als würd der graue Kasten wie durch Zauberei zum Leben erwachen, damit er die Wahlnachrichten gucken kann.
«Papa?» Ich stell mich vor ihn hin. Es ist jetzt Abend, und das Wohnzimmer wird vom schwachen Licht einer Kerze auf dem Boden erhellt; das weisse Wachs schmilzt und macht eine Schweinerei neben dem Sofa.
«Ich bins, Adunni», sag ich.
«Meine Augen sind nicht blind», sagt er. «Wenn das Essen fertig ist, bring mir einen Teller.»
«Ich muss was sagen, Sah.» Ich knie mich hin und umarm seine Beine. Ich erschreck, als ich merk, wie dünn sie geworden sind, seit Mama uns gestorben ist. Fühlt sich an, als würd ich leere Hosenbeine umfassen.
«Bitte, Papa.»
Papa ist ein harter Mann, sein Gesicht immer grimmig, er schimpft immer mit allen, darum wollte ich, dass Enitan dabei ist. Wenn mein Vater im Haus ist, müssen sich alle tot stellen. Nicht reden. Nicht lachen. Nicht bewegen. Als Mama noch nicht tot war, hat Papa sie auch immer angeschrien. Ganz früher hat er sie auch mal geschlagen. Nur ein Mal. Er hat ihr eine Ohrfeige gegeben, und ihre Backe ist ganz dick geworden. Er hat gesagt, das war dafür, dass sie ihm widersprochen hat, als er sie angeschrien hat. Dass Frauen den Mund nicht aufmachen sollen, wenn Männer reden. Er hat sie danach nie wieder geschlagen, aber sie waren nie glücklich zusammen.
[…]
«Meine Mama hat gesagt, Bildung gibt mir eine Stimme. Aber ich will mehr als nur eine Stimme, Ms Tia. Ich will eine lauterne Stimme», sag ich. «Ich will in einen Raum kommen, und die Leute sollen mich schon hören, noch bevor ich den Mund aufmach.»