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Abbas Khidder: Palast der Miserablen (2020)

Worum geht’s?

Die Familie Hussein flieht mit Sohn Shams und Tochter Qamer aus dem Süden des Irak nach Bagdad in der Hoffnung auf ein friedlicheres Leben. Dort wohnt die Familie im «Blechviertel», neben einem riesigen Müllberg. Shams arbeitet als Plastiktütenverkäufer, als Busfahrergehilfe, als Lastenträger. Auf dem Flohmarkt kommt er mit Büchern in Kontakt und verkauft bald selber regelmässig Bücher. Damit macht er sich aber für das Regime verdächtig.

 

Meine Lieblingsstelle

Eigentlich kommt Shams eher zufällig zum Lesen. Als er mit seinem Freund auf dem Flohmarkt nach pornographischen Heften sucht, findet er Alberto Moravias «erotische Erzählungen». Dies ist das erste Buch, das er kauft. Es ist nicht, was er erwartet hatte, doch von diesem Moment an wird er von der Literatur magisch angezogen. Das Buch führt dazu, dass er im Lesen seine Flucht aus dem Alltag (und den Widerstand gegen das Regime) findet und beim Lesekreis «Palast der Miserablen» landet, wo sich die Intellektuellen Bagdads treffen.

 

Was mir am Buch besonders gefällt

Das Buch hat autobiographische Züge. Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. Mit neunzehn Jahren wurde er verhaftet, als er mit Freunden Flugblätter gegen Saddam Hussein verteilte. Nach der Entlassung floh er 1996 aus dem Irak und hielt sich als illegaler Flüchtling in verschiedenen Ländern auf. Seit 2000 lebt er in Deutschland, er fand Asyl, studierte in München und Potsdam Literatur und Philosophie und fing damals an, in der Sprache, die er hier lernte, zu schreiben.

 

Mehr als alle journalistischen Berichte über den von Saddam Hussein beherrschten Irak hat mich dieses Buch berührt. Das von Angst und Armut geprägte Leben wird vor allem durch die Zuversicht des jungen Erzählers erträglich gemacht, der lebendig und mit Humor von seiner Familie und seiner Liebe zur Literatur erzählt.

 

Wem ich das Buch empfehlen würde

Allen, die momentan gerade auf Reiseentzug sind. Abbas Khider entführt uns in eine fremde Welt, wo andere Sitten und Bräuche herrschen. Vielleicht erzählt er manchmal etwas zu lehrerhaft, weil er uns Westlern seine Welt ganz genau erklären möchte, doch das stecke ich gerne weg.

 

O-Ton aus dem Buch

Ich hörte von Leben, die sich in Zürich, London oder Wien abspielten. Dort musste es wirklich schön sein. Es gebe gemütlich Busse, die pünktlich fuhren, saubere, hell erleuchtete Strassen, Arbeit für jeden, und man könne sogar ein Mädchen vor den Augen seines Vaters küssen! Der würde sich darüber sogar freuen, statt wie bei uns die Flinte zu holen.

«Unvorstellbare Dinge für mich, aber dort sollen sie vorstellbar sein», sagte ein Fahrgast und alle lachten.

 

Die Mutanabi-Strasse war nicht einfach nur ein Treffpunkt der Buchhändler, Schriftsteller, Kritiker, Journalisten, Studenten und eifrigen Leser, sondern war auch ein Ort, der wie ein Paralleluniversum zu Bagdad wirkte. Als träte man durch ein magisches Portal aus der chaotischen, lauten und harten Stadt hinaus in einen zauberhaften Garten voll Ruhe und Harmonie, wo Buchstaben wie Insekten durch die Luft schwebten und literarische Wesen wie Einhörner zum Leben erweckt wurden.

 

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